Ikonen malen oder Ikonen schreiben?

Der Mythos vom Ikonenschreiben - oder doch kein Mythos?

ARTIKEL

Beginnen wir ein wenig frech. Eines der vielen Merkmale der wohl von fast jedem Neophyten durchlebten Konvertitis ist (so ging es mir), dass man sich an etwas klammert, was einem das Gefühl einer neuen Identität vermittelt, um sich vom alten, schwankenden Leben loszusagen und sich im Neuen zu verankern. Dieser Impuls ist an sich gut und nachvollziehbar. Zum Heranreifen gehört dann die Übung in Unterscheidung und das Ablegen der Mini-Götzen, auf die man seine Identität als Anfänger auf dem Weg zu Christus – unbewusst – gestützt hat.

Einer dieser identitätsstiftenden "Autoaufkleber" auf dem Weg zur und dann in der Kirche ist die Idee, dass Ikonen geschrieben und nicht gemalt werden. Diese Idee hatte ich selbst und bin ihr seitdem öfters in Gesprächen wieder begegnet. Ich vermute, dieser Fehler bleibt einem als schmackhaft hängen, weil der Begriff des Ikonenschreibens exotisch, sogar erhaben klingt und sich abhebt von der weltlichen Normalität mit ihren banalen Betätigungen, die wenig Trost im gottverlassenen Alltag des Ungläubigen bieten - so war es jedenfalls bei mir. Der Schwung zu weit in die andere Richtung jedoch fixiert sich auf das aus-der-Welt-heraus-Getaufte und entwickelt ein fanatisches Reinheitsgebot; und nach außen hin erscheint die „Taufe“ am echtesten, wenn das Getaufte einen neuen, am besten byzantinisch oder slawisch angehauchten – auf jeden Fall aber keinen westlichen, herkömmlichen - Namen bekommt. Dies nur als mit Frechheit gewürzte Einleitung - aus persönlicher Erfahrung.

Werfen wir einen Blick auf den sprachlichen Aspekt.

Das Schreiben kommt natürlich vom griechischen grafí (Γραφή), Ikono-graphie wird demnach zum Ikonen-Schreiben und erscheint so logisch richtig - bis auf die Tatsache, dass Ikone Bild bedeutet und wir eigentlich Ikonegraphie mit Bildschreiben übersetzen müssten, wenn wir konsequent bleiben wollten - ja eben: wenn.
Zwar heißt gráfo (γράφω) auf Griechisch schreiben, doch wie sieht es mit dem Malen aus? Malen heißt zografikí (ζωγραφική) und kommt von Zoí (Ζωή) das Leben und gráfo (γράφω) schreiben [1]. Wollten wir nun aber der Logik von eikonográfos (εικονογράφος) = Ikonenschreiber treu bleiben, müssten wir zografikí nicht mit Malerei sondern mit „Lebenschreiben“ übersetzen, was wir aber nicht tun, keine westliche Sprache tut dies. Die Griechen haben kein eigenes vom Wortstamm gráfo abgetrenntes Wort für das Malen. Im Westen haben wir es wohl, zB. im Italienischen scrivere / dipingere, im Französischen écrire / peindre, im Englischen writing und painting. Auch das Zeichnen kann im Griechischen mit zografikí übersetzt werden, während es erneut im Westen dessiner, disegnare und drawing etc. heißt. Das graphie in Ikonographie meint sodann nicht exklusiv das Schreiben. Im Russischen ist der иконописец, der ikonopisets, aber längst fest verankert, da er eben auf dem griechischen Wort basiert, denn die Russen erhielt die gesammte orthodoxe Ästhetik und Poesie von den Griechen. Das Alter einer Tradition oder Gewohnheit, macht sie nicht automatisch richtig und wahr - auch nicht ihr Ursprung, in der Logik nennt man das den genetischen Fehlschluß.

Persönlich finde ich dies überzeugend genug, um zu behaupten, dass die Bezeichnung Ikonenschreiben sprachlich und inhaltlich nicht korrekt ist. Es zielt an der Realität des jeweiligen Handwerks vorbei, denn das Schreiben basiert auf Sprache und Buchstaben, das Malen hingegen auf dem Darstellen von Form und Fläche durch Farbe. Die Ikone wird gemalt, der Name auf ihr geschrieben. [2]

Der meiner Meinung nach falsche Begriff lädt die Tätigkeit künstlich mit mystischer Bedeutung auf, um die Grenze zwischen profan und sakral so deutlich wie möglich zu ziehen. Dies ist wie gesagt verständlich, doch oft ein Symptom besagter Konvertitis. Die richtige Mitte wäre eine zwischen dem Satz, der mit dem hl. Silouan verknüpft ist: "Halte deinen Geist in der Hölle und verzweifle nicht" und meinem Reim darauf: "Halte deinen Geist im Himmel und demütige dich". So ungefähr wäre die Einstellung des Ikonenmalers eine, die ihn auf dem handwerklichen Boden und gleichzeitig in Ehrfurcht vor der Tradition hält, stetig in Dankbarkeit, an der Tradition teilhaben und sich durch den Dienst am Menschen durch Handwerk demütigen zu dürfen. Viele Menschen vergessen vor lauter mystischer Gänsehaut, dass Ikonenmalen Arbeit ist und bleibt und dass keine begriffliche Politur das verstecken kann.

Aber...

Es gibt jedoch einen Fall, bei dem man durchaus vom Ikonenschreiben sprechen kann. Die Eigenart dieses Schreibens erklärt uns der hl. Basilius der Große, indem er die heiligen Bilder der heiligen Schrift gleichsetzt in Bezug auf die Verkündigung der Botschaft Gottes an den Menschen.

In der Geschichte der Ikonen gibt es aber einige wenige prominente Beispiele für wahre Theologie als Bild. Dazu zählen am deutlichsten die Dreiheitsikone des hl. Andrei Rubljow oder das Hinzufügen des Ν [2] in den Heiligenschein Christi. Wie Vt. Steven Bigham überzeugend herausgearbeitet hat [3], taucht die Bezeichnung „Der Seiende“ erst in den ersten beiden Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends im Heiligenschein Christi auf, vermutlich aus dem Balkan oder aus Russland kommend. Davor ist sein Heiligenschein "leer". Diese Eingebung, das Alte mit dem Neuen Testament auf solch richtige Weise bildhaft zu verbinden war Theologie und ein legitimes Beispiel für das Schreiben on Ikonen. Technisch gesehen bleibt die Tätigkeit aber dennoch Malerei mit Pinsel und Farbe.

Im Hinblick auf die Dreiheit: Sohn und Heiliger Geist tun Dinge, die der Vater nicht tut, sie haben ihre Hände auf dem Tisch liegen als Zeichen dafür, dass sie aktiv in der Schöpfung wirken, der Vater tut dies nicht, er erschafft zwar alles, wirkt dann aber durch den Sohn und den Geist in der Welt. Beide neigen ihre Köpfe leicht dem Vater zu, der Vater tut dies nicht, die sogenannte Monarchie des Vaters wird deutlich.

Im Hinblick auf Chistus: Der mittlere Engel trägt ein für Christus farblich typisches rot-blaues Gewand mit einem Clavus [5], im Heiligenschein steht das Ν, das auf die Selbstoffenbarung Gottes an Moses im Alten Testament und letztendlich auf Christus als Gott verweist. Die Genesis ist hier eindeutig, denn „Gott zeigte sich ihm an der Eiche“ (Gen 18, 1) in menschlicher, männlicher Gestalt, denn „Als er aber mit seinen Augen aufblickte, sah er, und siehe, drei Männer standen vor ihm“ (Gen 18, 2). Die Engel gehen und Gott bleibt bei Abraham: „Und nachdem sich die Männer von dort weg gewandt hatten, kamen sie nach Sodom. Abraham aber stand noch vor dem Herrn“ (Gen 18, 22) und „Die beiden Boten aber kamen am Abend nach Sodom“ (Gen 19, 1). Zwei gehen, einer bleibt. Gott selbst bezeugt Moses: „Du sollst mein Antlitz nicht anblicken können; denn auf keinen Fall wird ein Mensch mein Antlitz sehen und dann weiterleben“ (Ex 33, 20), daher sagt die Kirche, es ist wahr, den Vater und das Wesen Gottes kann man nicht sehen, Christus aber wohl: „Niemand hat Gott jemals gesehen; der einziggezeugte Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn bekannt gemacht“ (1. Joh 1, 18). Christus war sogar vor der Inkarnation erfahrbar, wie Abraham, Moses, Gedeon (Richter 6, 22) und andere Propheten bezeugen. Dies ist nicht allen Gläubigen bekannt, der hl. Andrei malte – oder schrieb - es ganz freimütig.

Weiter sind Kelche dargestellt, der eine steht konkret auf dem Tisch und birgt ein Lamm – die menschliche Natur Christi in der Inkarnation -, der zweite ergibt sich aus den Silhouetten der seitlichen Figuren, die den mittleren Engel einschließen - die göttliche Natur, die zweite Person Gottes. Der dritte Kelch ist angedeutet durch die drei Engel selbst, die zusammen mit den Sitzen und Fußschemeln eine sich nach unten hin verjüngende Gesamtform bilden. Dies spiegelt wieder, dass alle drei Personen der Dreiheit in der Eucharistie zusammenwirken, wie auch die Hymnographie und die Gebete der Kirche bezeugen, denn an jeder göttlichen Handlung nehmen immer alle drei göttlichen Personen teil, nur in unterscheidlichen Modi.

Im Hintergrund finden sich Elemente, die zusätzlich auf die drei göttichen Personen verweisen (Haus - Vater, Baum - Sohn, Berg – hl. Geist), dies lasse ich unkommentiert, es sollte auch so genügen, um die theologische Tiefe der kreativen Ideen des hl. Andrei und seiner Einsicht in die himmlische Welt zu zeigen. Sollte es stimmen, dass er keine ausgereifte Bildung genossen hatte und auch keinen Zugang zu bedeutenden Vätertexten, bezeugt sein Werk die Früchte der Askese und des Lebens im Gebet und den Gottesdiensten der Kirche, die die menschliche Erkenntnis in Tiefen eintauchen lässt, welche mit bloßem Intellekt nicht zu ergründen sind.

Ich denke, dass auch selbst diese schnelle und unakademische Ausführung deutlich macht, dass der herkömmliche, meist in der Welt lebende Maler, wenn er eine Ikone abmalt, nicht exakt dasselbe tut wie der hl. Andrei, als dieser seine Ikone komponierte. Der eine ist Maler, der andere - wenn man so will - auch Schreiber, der eine macht seine Arbeit, der andere betreibt dazu noch Theologie. Gott sei Dank für beide.


- - -


Anmerkungen:

[1] übrigens zeigt dies sehr schön, wie das Malen als ein Malen nach der Natur gesehen wurde und nicht als reines Produkt des menschlichen Geistes, wie es sich in der Moderne und Postmoderne entwickelt hat.

[2]
Doch selbst beim Namen kann oft von Malerei gesprochen werden, wenn die Grenze, die das Ornament vom Buchstaben trennt, überschritten wird. Das Ornament steht für sich, der Buchstabe dient dem Wort und muss lesbar sein, ein unlesbarer Buchstabe hat die Grenze vom Geschriebenen zum Gezeichneten / Gemalten überschritten. Das Schreiben fordert höhere Präzision und Klarheit, Sprache und Buchstabe grenzen es klar ein. Hingegen können sich Zeichnen und Malen durch die Fülle und Weite visueller und geistiger Formen bewegen und sogar bis zu einem gewissen Grad „unlesbar“ bleiben; das Schreiben aber soll lesbar sein, es dient nämlich dem Lesen. Wir sprechen aber auch von lesbaren und unlesbaren Bildern, doch das ist ein anderes Thema.

[3] Die Buchstaben formen das Partizip Präsenz ὤν des griechischen Wortes „sein“, zusammen mit dem bestimmten männlichen Artikel Singular bilden sie das „der Seiende“.

[4] siehe Angusticlavia

[5] https://orthodoxartsjournal.org/on-the-origin-of-%E1%BD%81-%E1%BD%A4%CE%BD-in-the-halo-of-christ/

Die Dreiheitsikone basiert auf der gängigen Ikone der Gastfreundschaft Abrahams. Getreu der alttestamentlichen Geschehnisse bedienen Abraham und Sarah drei Männer (Gen 18, 1-3), die schon als Engel dargestellt werden, obwohl erst ein Kapitel später von Boten die Rede ist und damit Engel angedeutet werden (Gen 19, 1). Der heilige Andrei entfernt Abraham und Sarah aus dem Bild und macht aus den drei Männern nicht einfach normale Engel, wie die gängigen Ikonen dieser Szene, sondern Representationen der Personen der Trinität. Das geht über das, was in Genesis 18 steht, hinaus, obwohl das Wort Engel genau so Bote bedeutet.

Die Engel, vorher identisch dargestellt, bekommen nun gesonderte Merkmale und Farben. Sie kommunizieren mit einander durch Körperhaltung und verweisen mit Gesten auf ausgereifte theologische Inhalte. Die Ikone kann so interpretiert werden, dass sie die Dreiheit thematisiert, andererseit christologisch, weil sie Christus hervorhebt. Die Ikone leistet beides.

Christus Pantokrator, St-Katherinen-Koster, Sinai, 6. Jhdt

Letztes Abendmahl, Kloster Vatopaidiou, Berg Athos, 1312

hl. Andrei Rubljow, hl. Evangelist Johannes und hl. Prochor, 14. Jhdt

Lektionar, hl. Johannes und hl. Prochor, 5. Jhdt

Dies ist ein gängiges Argument dafür, dass es Ikonenschreiben und nicht Ikonenmalen heißen muss. Untersuchen wir diesen Fall, so sehen wir, dass das Argument nicht halten kann und dass der hl. Basilius an eine bestimmte Art des Ikonenmalens dachte und nicht an die heute gewöhnliche Praxis.

Die heilige Schrift ist von Gott inspiriert, Altes sowie Neues Testament, geschrieben von Propheten, Evangelisten und Aposteln. Ikonen zeigen bildhaft die orthodoxe Theologie, basierend auf der heiligen Schrift und der heiligen Tradition. Die ersten Ikonen haben zentrale Aspekte des Heilswerks Christi gezeigt (der gute Hirte, die Heilung der Frau mit Blutfluß, die Heilung des Blinden, etc.) nach und nach kam mehr Weite und Tiefe in den Motiven und Darstellungen hinzu, vermutlich mit dem Herausbilden der Feste des Kirchenjahres.

Wenn die Evangelisten, Aposteln und Propheten wahre Theologie, sprich das Reden von Gott her, betrieben haben, dann können wir nur diejenigen als Verkündiger der Frohen Botschaft durch Bilder bezeichnen, die von Gott erleuchtet tatsächlich etwas aus der Tiefe des Mysteriums heraufgeholt und so zur weiteren Erleuchtung und Erklärung der Fülle des Evangeliums beigesteuert haben. Das ist es, wovon der hl. Basilius spricht. Alle anderen Maler kopieren und tragen die schon bestehende Botschaft weiter, aber betreiben selbst keine wahre Theologie durch ihr Malen. Eine Person, die eine Ikone malt und dabei jahrtausendalte Formeln benutzt, als Ikonenschreiber zu betiteln im Sinne von jemanden, der von Gott her verkündigt, stellt sie also den Evangelisten, den Aposteln, Theologen und Propheten gleich; folgerichtig müssten wir jemanden, der das Evangelium lediglich abschreibt, einen Evangelisten nennen. Dem würde offensichtlich niemand zustimmen.

hl. Basilius der Große, hl. Markus Basilika, Venedig, Italien